von Sebastian Edinger
Annika Brockschmidt steht, mit übrigens mehr als 90 000 „Followern“ auf X, im Ruf, eine ausgewiesene USA-Expertin zu sein, die einem interessierten deutschen Publikum die USA erklären könne, vor allem die Rolle der Evangelikalen als der wahlentscheidenden religiösen Gruppe in den USA. Ihre in beachtlicher sprachlicher Armut sich manifestierenden fetischistischen Fixierungen („Faschist“, „Nazi“, „alter weißer Mann“, „white supremacy“, „Patriarchat“, „Verschwörungsirgendwas“ – „-irgendwas“ kann wahlweise und unsystematisch durch Mythos, Phantasma, Märchen etc. ersetzt werden; und viel mehr kommt dann auch nicht mehr) sowie ihre Neigung, über die bloße Verwendung von Anglizismen hinaus blindwütig alles, was ihr gerade in den Sinn kommt, in die deutsche Sprache einzuschmuggeln („framte“), stehen ihrem Erfolg nicht im Weg. Der öffentliche Status, den Annika Brockschmidt als „USA-Expertin“ und „Intellektuelle“ genießt, läßt es leider angebracht erscheinen, die offensichtliche Nicht-Expertin als solche bloßzustellen. Hoffentlich läßt sich dahingehend wenigstens irgend etwas mit diesem Text erreichen, der sich auf Brockschmidts Buch Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet beschränkt, denn es ist schlimm genug, sich überhaupt damit länger aufzuhalten.
Es geht mir hier nicht primär um Brockschmidt, sondern um die intellektuelle Öffentlichkeit und den geistigen Zustand eines Landes, in dem jemand wie sie einen solchen Status erlangen kann. Es geht mir also um einen intellektuellen und kulturellen Zerfall und darum, wie er sich in dieser individuellen Erfolgsgeschichte, die vom geistigen Ende eines Landes zeugt, manifestiert. Und ich wähle Brockschmidt (bei immenser Konkurrenz durch Leute wie Carlo Masala, Philipp Ruch, Natascha Strobl und viele andere) deshalb aus, weil ich es denjenigen Frauen schuldig bin, die das weibliche Geschlecht geist- und würdevoller repräsentieren. Das genaue Gegenteil von Brockschmidt wären z.B. Mary Harrington, Louise Perry, Poppy Coburn, Heather Mac Donald oder Mary Eberstadt.
Großartige Erklärung oder doch eher Struktur- und Ideenplagiat?
Den Ausdruck „Struktur- und Ideenplagiat“ habe ich dem Büchlein Über die geistigen Mistkäfer der Wissenschaft. Zum Struktur- und Ideenplagiat des deutschen Lord Voldemort der Intelligenzforschung, Volkmar Weiss, entnommen. Weiss verteidigt in dem Buch seine eigenen Errungenschaften gegen ihre stillschweigende und seines Erachtens unzureichend ausgewiesene Übernahme (ihm zufolge u.a. durch Sarrazin), schreckt aber auch nicht davor zurück, seine eigene Abhängigkeit von anderen Ansätzen einzugestehen: „In vielem ist Die IQ-Falle, allein schon durch ihre Entstehungsgeschichte, ein Strukturplagiat der Bell Curve, das sich erst im vierten Teil vollständig von seiner Vorlage löst.“ (Weiss 2021: 45)
Aufgrund von Weiss’ Loslösung von The Bell Curve in den späteren Kapiteln seines Buches darf man sein Buch als Aufnahme und Weiterentwicklung bezeichnen. Doch welche offensichtlichen Vorlagen lassen sich bei Brockschmidt ausmachen, die sie unterschlägt?
Meines Erachtens muß Brockschmidts Buch einigermaßen langweilig für jemanden sein, der Chris Hedges’ bereits 2006 erschienenes Buch American Fascists. The Christian Right and the War on America gelesen hat (gut, die „Gefahr“, daß dies geschieht, besteht in der Regel nicht). Die Rolle der Evangelikalen wird umfangreich dargestellt; Rushdooney, auf dessen Entdeckung Brockschmidt sich viel einzubilden scheint, ist Hedges, wie dem Leser schwerlich entgehen wird, bestens bekannt. Die marginale Fußnote in Brockschmidts Buch (Brockschmidt 2021: 372) widerspricht meiner Unterschlagungsthese nicht.
Worin Brockschmidts Buch sich von dem Hedges’ gewichtig unterscheidet, ist m.E. die Akkumulation von Konzessionen an den Zeitgeist und an Diskussionen (Fokussierung auf white supremacy, Sklaverei, Rassismus, CRT, Covid), die nach 2010 aufgekommen sind und deshalb bei Hedges noch nicht auftauchen konnten. Wodurch Brockschmidt sich darüber hinaus von Hedges unterscheidet, ist das Niveau an begrifflicher Durcharbeitung, denn nichts, was Begriffsbestimmung genannt zu werden verdient, ist bei ihr zu finden, während Hedges den Faschismusbegriff, wenn auch nicht erschöpfend, so doch in analytisch bearbeitbarer Weise definiert. Brockschmidt kann vielleicht geltend machen, daß sie mehr Material verarbeitet habe als Hedges und deshalb ein noch umfangreicheres Bild der Evangelikalen gezeichnet habe, aber das sind bloße Fleißpluspunkte, und ich halte ihr auch nicht Faulheit, sondern Unvermögen vor. Hinzu kommt in nicht gerade förderlicher Weise, daß es sich bei Amerikas Gotteskrieger um ein Buch handelt, das aus einer Blase heraus (dem woken Industriekomplex) über eine andere geschrieben worden ist ohne Verständnis dessen, was sie zu erklären versucht: die USA. Dazu nun mehr im Detail.
Ich gehe im Folgenden ohne narrativen Leitfaden eine von Punkten stichwortartig durch, führe Zitate aus Brockschmidts Buch an und weise Stück für Stück nach, um was für ein, gerade in Sachen USA-Kenntnis, unzureichendes Buch, das nie hätte gedruckt werden dürfen, es sich dabei handelt.
Soros als Antisemitismus-Keule und ein ganz besonderes Irrlichtern aus profunder Unkenntnis heraus
Im nicht genauer definierten, aber offensichtlich existierenden Social Credit Point System der Linken, der deutschen zumal, ist der Ruf, nachweislich, unverbrüchlich und mehr als nur überaufrichtig ein Anti-Antisemit zu sein, ganz so, als wäre man damit auch schon kein Antisemit mehr (nicht auf Brockschmidt gemünzt), aber dazu unten mehr.
Brockschmidt hat es in ihrem Buch tatsächlich hinbekommen, die anspruchsvolle journalistische Ansprüche – von wissenschaftlichen gar nicht erst zu reden – auf groteske Weise zu unterbieten, wo sie sagt (ein solches Peinlichkeitsjuwel muß ausgiebig mit Hervorhebungen zitiert werden):
„Deborah Lipstadt [eine Antisemitismusforscherin, S.E.] verwies auf eine Rede des Seators Josh Hawley auf der National Conservatism Conference, in der er das Wort «kosmopolitisch» zwölf Mal verwendete: «Ich bin mir sicher, dass die meisten Leute, die dort aufgetaucht sind, sagen würden: ich bin ein guter Freund der Juden.) Aber wenn man das Wort (kosmopolitisch» gegen das Wort (Jude) austauscht – klingt es wie ein klassisches antisemitisches Narrativ. [...] Es ist die Art von Sprache, die Antisemiten anlockt», sagt Lipstadt. Diese Form des kulturellen Antisemitismus findet sich dementsprechend häufig in rechten Medien. Zu den Dog Whistles des kulturellen Antisemitismus zählt beispielsweise die Bezugnahme auf die angebliche Kontrolle wichtiger Finanzströme durch den jüdischen Milliardär George Soros, der damit die Weltherrschaft an sich reißen wolle.“ (Brockschmidt 2021: 286 f.)
Die National Conservatism Conference der sogenannten NatCons, deren führender Kopf Yoram Hazony vorher am Theodor Herzl Institut in Jerusalem war, traten vor ihrer Umbenennung zu National Conservatives unter dem Namen Jewish-Christian Alliance auf. Daß eine angebliche Antisemitismusforscherin das nicht weiß, stellt alle sogenannte Forschung in dem Bereich unter Generalverdacht, was das nötige Kompetenzniveau angeht, um dort mitspielen zu dürfen. Daß Brockschmidt darauf hereinfällt, ohne sich Fragen zu stellen oder etwas zu merken, paßt ins Gesamtbild, das ich noch deutlicher zeichnen werde. Daß sie das als Sprungbrett benutzt, um zu Soros als dem Statthalter des Judentums zu gelangen (was sagt Brockschmidt eigentlich zu Jews against Soros?), ist nicht nur aus Unwissenheit, sondern auch aus Denkunfähigkeit geborener Kitsch. Warum?
Den Antisemitismus, wie allzu häufig geschehen, an Soros-Kritik oder auch an harten, begründeten intellektuellen Angriffen gegen Soros festzumachen, bedeutet, Soros (wenigstens kasuistisch) zum Statthalter des Judentums zu machen, was auch heißt: ihn zu de-individualisieren und zu einem grotesk überwertigen Maskottchen zu machen. Die eigene Projektion in dem Verfahren, das zur Erzeugung der sowohl monolithischen als auch im Gegenteil repräsentativen Entität „der Jude“ führt und über Individuen gleichgültig hinwegwalzt, wird unsichtbar gemacht und muß unsichtbar gemacht werden, damit man den Antisemiten ans Licht zerren kann und den eigenen unbegriffenen Antisemitismus, der in seiner Erzeugung am Werke ist, im Dunkel belassen kann. Anders gesagt: Den Antisemitismus von einer Soros-Kritik herzuleiten, läuft darauf hinaus, ein Kitschbild vom Antisemitismus zu statuieren, das seiner inneren Logik nach notgedrungen selbst antisemitisch ist, weil es Juden auf eine bestimmte Erwartungshaltung von außen vereidigt und ihnen nicht gestattet, sich wenigstens selbst darauf zu vereidigen oder die Solidarität mit Soros eben auch strikt abzulehnen, was durchaus möglich ist, solange sowohl Soros als auch seine Gegner Individuen sind statt Spielmarken und Manövriermasse in eigener Sache. Der jämmerliche Sinn des Spiels ist: „Schau, das ist jemand gegen den Juden Soros, ergo ist er ein Antisemit, nun gib uns den Blankoscheck für unsere vorprogrammierten lahmen, immergleichen Denunziationen!“
Die Suggestion, daß Soros das Judentum repräsentiere und ein Angriff auf ihn einer auf letzteres sei, ist selber antisemitisch dadurch, daß der ihr sich gedankenlos und reflexhaft Hingebende am Judentum selbst so desinteressiert zeigt wie an Diversität innerhalb der jüdischen Welt, von der die Diversen genauso viel wissen wollen wie von jeder anderen wirklichen Diversität. Es kann erst jeder für alle einstehen, wenn alle eins sind; „die“ (Juden) und „dieser“ (Jude) sind dann ununterscheidbar; so will es der Triumph der hemdsärmeligen Einfältigkeit, die intellektuell nicht weiter reicht als bis zur Erfindung einer so billigen Masche, um in gänzlicher Sachferne gegenüber dem, was man zu verteidigen beansprucht, dasselbe vor den klappernden Schrottkarren der eigenen infamen und perniziösen Bildungslosigkeit spannt.
Diese Masche ist auch deshalb so beliebt, weil man sich vor Idioten leicht einen Mantel umlegen, der qua Aufschrift verbürgen soll, wofür er nicht verbürgen kann: Der demonstrative Anti-Antisemitismus soll – allgemein gesprochen – Gewähr dafür bieten, daß man es mit aufrechten und authentischen Nicht-Antisemiten zu tun hat. Aus keinem Anti-Antisemitismus folgt ein Nicht-Antisemitismus, ersterer kann letzteren nicht repräsentieren, weil die Präsentation mit der beanspruchten oder zur Schau gestellten Bedeutung nicht identisch ist; für einen legitimen Nicht-Antisemitismus ist es nötig, kein Anti-Semit zu sein und sonst nichts. Keine wie immer geartete Performance kann bewerkstelligen, was der performative Anti-Semit – ungeachtet seiner „wahren inneren Haltung“ – als Garantieleistung seiner Performance beansprucht; Anti-Antisemit ist man vor allem für andere und vor anderen, unabhängig davon, was man eigentlich sei. Hier ist an Peter Furths Ausführungen über den Philosemitismus in seinem brillanten Essay Heuchelei und moralische Weltanschauung zu erinnern: „Die Identifikation mit den exemplarischen Opfern ist also ein sicheres Mittel, um unverdächtig aggressiv sein zu können. Wenn Toleranzforderung und Konformismus kurz geschlossen werden, kommt es zur aggressivsten Form der Heuchelei überhaupt.“ Wie Brockschmidt persönlich dazu steht, ist egal, denn sie kann nicht über die Strukturen verfügen, innerhalb derer sie selber als Marionette ihres Milieus operiert; nichts in dem Buch indiziert, daß sie sich zu diesem Milieu verhalten kann, alles hingegen, daß sie sich brav darin und gemäß seiner Vorgaben enthält. Indem sie auf den Soros-Kitsch einschwenkt, um leere Anklagen zu führen, deren Rückseite noch leerere Selbstvergewisserungen und -bestimmungen vor Publikum sind, gerät sie zu einer Figur in der Logik der kleinkindlichen Blickstrahlablenkung, die – ob zurecht oder zu unrecht – überall dort stattfindet, wo der Anti-Antisemitismus die Bühne des Marktplatzes betritt.
Erheiternde Phantastereien über das „amerikanische Abitur“
Die NatCons als Bewegung nicht wahrgenommen zu haben, wirft ein Licht darauf, mit was für einer Art von Expertentum wir es hier zu tun haben. Brockschmidt ist monothematisch orientiert, tritt aber mit einem Erklärungsanspruch auf, der in einem bizarren Mißverhältnis zu ihrem Wissen steht. Das zeigt sich auch in einer anderen Angelegenheit, die mich laut auflachen ließ: Sie kennt die Struktur des amerikanischen Bildungssystems nicht einmal im Ansatz.
„Der Grund für sinkende SAT-Ergebnisse (vergleichbar mit dem Abitur-Schnitt) liege in der fehlenden religiösen Bildung von Kindern und Jugendlichen im modernen Schulsystem.“ (Brockschmidt 2021: 216 f.)
Die Behauptung ist in der Tat lächerlich, aber auch nicht lächerlicher als die Annahme, der SAT entspreche dem Abitur. Das amerikanische Äquivalent des Abiturs ist der Graduate Point Average (GPA), während der SAT (wie der LSAT und der ACT) ein von den Schulnoten gänzlich unabhängiger kognitiver Test, der eher einem IQ-Test gleichkommt und deshalb bei jenen, die über IQ mehr wissen und zu sagen wissen, daß es sich – gähn – um „ein Konstrukt“ handele, zudem um ein weißes, deshalb Diskriminierung reproduzierendes handele, das natürlich auch die Komplexität menschlicher Intelligenz allenfalls und auf bescheidenem Niveau annäherungsweise erfasse usw. usf.
Wer glaubt, es handele sich dabei um einen kleinen faux pas, den ich Brockschmidt hier kleinlich vorhalte, dem seien ein paar wenige sachte Andeutungen dazu gegeben, was völlig außerhalb ihres USA-Expertenhorizonts liegt: Weder kennt und versteht sie die weitreichenden Auseinandersetzungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um das Bildungssystem in den USA nicht, noch versteht sie deren gesellschaftspolitisches Gewicht. Sie kann nicht verstehen, wie Affirmative Action mit dem SAT und dieser wiederum mit der Intelligenzforschung zusammenhängt (in einer vorsichtigen Schätzung beträgt die Korrelation im allgemeinen zwischen SAT- und IQ-Wert r = 0,8, wird aber auch teilweise deutlich höher angegeben. Wieso? Die kurze Antwort lautet: Positive Manifold – eines der härtesten und am besten fundierten Ergebnisse der gesamten empirischen Sozialforschung im weitesten Sinne). Sie hat natürlich auch The SAT Wars – ein Buch, das sich umfangreich mit dem Wertigkeitsverhältnis von SAT- und GPA-Werten auseinandersetzt – nicht gelesen. Sie kennt The Bell Curve offensichtlich nur vom Hörensagen („weiß“ aber natürlich, so wie man in ihren Kreisen Dinge „weiß“, daß es sich um pseudowissenschaftlichen und rassistischen Quatsch handelt) und kennt auch die neuere Meritokratie-Debatte rund um Michael Sandel (The Tyranny of Merit, 2020) und Daniel Markovits (The Meritocracy Trap, 2019) nicht. Sie weiß natürlich auch nicht, daß die Kontroverse zwischen GPA (hochgradig beeinflußbar durch Fleiß und Entgegenkommen von Lehrern) und SAT (Elimination des subjektiven Faktors, extrem hohe IQ-Korrelation, weitgehende „Unlernbarkeit“ (alternativ und ausführlicher: Effects of Coaching on SAT I: Reasoning Scores), weshalb die Ergebnisse kein Resultat sozioökonomischer Verhältnisse sind) zugunsten des SAT entschieden ist, was in den entsprechenden Kreisen auch jeder weiß; und ich habe hier nur Online-Quellen angeführt, um es dem Leser leichter zu machen, die Behauptungen einer Prüfung zu unterziehen, es existieren dazu Bücher en masse.
Ein Comeback gibt es aus einem solchen Abgrund von Unwissenheit nicht, aber ihrem Expertenstatus wird das in diesem „Deutschland“ keinerlei Abbruch tun, denn sie ist damit unter den „Eliten“ und „Hochqualifizierten“ in bester Gesellschaft.
„Court-Packing“ – Abenteuerliche Phantasien über den Supreme Court
Brockschmidt spricht von einem Court Packing der religiösen Rechten, das allerdings nicht stattgefunden hat, mehr noch: sie weiß so ganz neuexpertenhaft und neubildungselitär nicht einmal, was Court Packing bedeutet. Ihre Behauptung lautet mit meinen Hervorhebungen:
„Das «Court-Packing» der Religiösen Rechten, also das gezielte Besetzen von juristischen Schlüsselpositionen, das unter Trump weiter praktiziert wurde, hat das Bundesjustizsystem für die nächsten Jahrzehnte verändert, und zwar zum Vorteil Christlicher Nationalisten.“ (Brockschmidt 2021: 277 f.)
Was sie hier sagt, ist jenseits von Gut und Böse. Die Definition von Court Packing besagt, daß dabei die Richterzahl außerplanmäßig und in einem gezielten politischen Akt erhöht wird, um dadurch für politische Vorhaben Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, die aktuell nicht vorhanden sind. Die Neubesetzungen, die Trump vorgenommen hat, ergaben sich einfach daraus, daß richterliche Positionen während seiner Präsidentschaft frei wurden, d.h. er nutzte einfach seine präsidiale Befugnis, als die Gelegenheit sich bot, so wie es andere Präsidenten auch getan hätten; solche Neubesetzungen waren kein Griff nach illegitimer Gestaltungsmacht, sondern fallen schlicht in den Aufgabenbereich eines US-Präsidenten. Natürlich handelt es sich dabei um ein „gezieltes Besetzen von juristischen Schlüsselpositionen“, aber verfassungsrechtlich anrüchig ist dabei in dem Fall schlicht gar nichts. Allerdings forderte die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez angesichts von Trumps Entscheidungen im Jahr 2020 explizit: „Expand the Court.“
Interessant, oder? (Brockschmidts Buch erschien 2021, womöglich war das fertige Manuskript zu diesem Zeitpunkt bereits eingereicht; aber daß sie selbst in Kenntnis der Sachlage erwähnt hätte, wage ich zu bezweifeln.)
Merkwürdigerweise beschleicht mich der Verdacht, daß deutsche „USA-Experten“ sich damals weder darüber echauffierten, noch es für nötig erachteten, das deutsche Publikum über die Zustände in den USA aufzuklären. Auch interessant, oder?
Die angeblichen Schauermärchen und die harten Fakten
Brockschmidt arbeitet durchgehend mit einer konnotativ aufgeladenen Sprache: Konnotationen sollen leisten, was sie auf inhaltlicher Ebene nicht zu leisten imstande ist; der Leser soll beeinflußt und, falls nötig, durch die Konditionierung mittels permanent – so paradox das klingt (wie beim „lauten Schweigen“) – ins Gesicht gebrüllter Untertöne (mit allerdings gar nicht vager Stoßrichtung) unter die Fuchtel genommen werden. Zu den „Verschwörungsmythen“ komme ich noch, aber in Hochform und so ganz als Repräsentantin ihres Milieus erweist Brockschmidt sich, wo sie das leicht Dokumentierbare als „Schauermärchen“ bezeichnet:
„Trump lieferte, was er und Pence der Religiösen Rechten vor der Wahl 2016 versprochen hatten: Er trat als erster Präsident auf einem «Pro-Life»-Marsch auf, erzählte immer wieder Schauermärchen von Demokraten und Ärztinnen, die «Babys» bis kurz vor der Geburt «töten» wollten – «und manchmal sogar nach der Geburt».“ (Brockschmidt 2021: 67)
Darf ich dem Leser Kathy Tran vorstellen? Bis 2:10 erhält man das Wesentliche, das Brockschmidt natürlich leugnet, während sie anderen vorhält, sich in abstruse Phantasien zu ergehen.
Mehr als nur „Stilblüten“ der besonderen Art – einige eklatante Fehltritte
Ich werde nun etliche Stellen zitieren und aufzeigen, daß Brockschmidt den USA als „Globalgegenstand“ genauso wenig gewachsen ist wie der deutschen Sprache. Der Übersichtlichkeit halber sind alle Zitate eingerückt und mit Stichworten überschrieben.
Verschwörungsmythen – besser: Verschwörungsirgendwas
Da ich dieses leidige Thema schon angerissen habe, fangen wir damit an. Ich nenne generell alles, was unter den unzähligen Namen, die mit „Verschwörungs-“ beginnen, Verschwörungsirgendwas, weil analytische Trennschärfe und intellektuelle Standards im Umgang meiner Kenntnis nach flächendeckend fehlen. Diejenigen, die hier mitgrölen bzw. hirnlos oral vor sich hin exkrementieren, könnten die Unterschiede zwischen z.B. Verschwörungstheorie, Verschwörungsmärchen, Verschwörungsphantasma, Verschwörungsmythos oder Verschwörungserzählung nicht im Ansatz begrifflich bestimmen, wenn ihr Leben davon abhinge. Brockschmidt verwendet dementsprechend auch alles mögliche durcheinander; zu Verschwörungsglaube siehe das Kapitel „Das Ende naht – Verschwörungsglaube“, aber „Verschwörungsmythos“ ist gerne gesehen bei ihr (z.B. S. 34, 52, 148, 167 f., 243 f., 287), „Verschwörungserzählung“ findet sich ebenso (z.B. S. 293, 304 oder 308), aber auch „Verschwörungsphantasien“ darf mal (S. 334).
Brockschmidt wäre nicht Brockschmidt, und ihr Milieu wäre nicht in bodenloser intellektueller Erbärmlichkeit, was es ist, würde nicht auch als Verschwörungsmythos bezeichnet werden, was mittlerweile eher eine Sache des halbwegs gekonnten Umgangs mit einem Rechenschieber als von „Mathematik“ ist: das „Great Replacement“.
„In derselben Episode von WallBuilders Line behauptete William Gheen 2010, dass Einwanderer mit Hilfe Obamas die wahren Amerikaner ersetzen wollten, indem sie zahlreiche Kinder zeugten – ein Echo des rassistischen Verschwörungsmythos vom «Great Replacement» oder der «Umvolkung», wie sie in deutschen rechten Kreisen genannt wird.“ (Brockschmidt 2021: 34)
Hier kann man sich über die Kriterien streiten, aber es reicht m.E. problemlos aus, um von einem Great Replacement zu sprechen, wenn aufgrund politischer Maßnahmen ein Migrationsaufkommen generiert wird, das dazu führt, daß die numerische Dominanz der Einheimischen untergraben wird. Dabei gehe ich von chinesischen Maßstäben aus, und in China leben rund 92 % Han-Chinesen. Hinzu kommt, daß es eine Sache ist, ob der Anteil der Einheimischen unter 90 % fällt, oder ob er künstlich und mit geradezu militanter Planmäßigkeit unter 90 % gedrückt wird. Zwangssterilisierungen und einer offener Revers-Hitlerismus mit schleichendem Ethnozid sind keineswegs nötig, um diesen Begriff zu validieren. Die interne demographische Schwäche von Ländern, die sich zudem mittlerweile auf nahezu den gesamten Globus erstreckt, ist kein Argument dafür, denn Völker haben das Recht darauf zu sterben. Wirtschaftsstandortrhetorik hat hier nichts zu suchen, sie müssen erleiden, was sie sich einbrocken. Und wer die Grundlagen der Intelligenzforschung und damit die Demographie der Intelligenz – etwas, was Schulfach sein sollte, weil es leider nur von wenigen Menschen begriffen wird – nicht versteht, der weiß natürlich auch nicht, wie sehr die Länder der Hochmoderne vom IQ-Niveau der Hochmoderne abhängig sind und sich nur auf einem gleichbleibenden intellektuellen Niveau in wiedererkennbarer Weise (ungeachtet aller übrigen Faktoren) erhalten können. Weder Brockschmidt noch irgendeiner aus der intellektuellen Davos-Spelunke versteht davon auch nur das geringste.
Zahlen aus Deutschland:
Rund 41 % der schulpflichtigen Kinder hatten 2022 Migrationshintergrund.
Rund 50 % der Kinder unter 10 Jahren hatten 2023 einen Migrationshintergrund
Etwa 43,1 % der Kinder unter fünf Jahren hatten 2023 einen Migrationshintergrund
Exemplarisch zu Kanada:
Weiter mit den kläglichen Fehltritten im Buch.
Aussagenlogik – CRT als „unbekannte akademische Theorie“
Brockschmidt nennt die Critical Race Theorie (CRT) eine „unbekannte wissenschaftliche Theorie“:
„CRT wird in keiner Schule Amerikas gelehrt, sondern ist eine relativ unbekannte akademische Theorie.“ (Brockschmidt 2021: 114)
Später heißt es dann:
„Unterstützt wird diese moralische Panik von rechten Medien-Outlets wie Fox News: Dort wurde CRT allein im Zeitraum von April bis Juli 2021 ganze 1300 Mal erwähnt.“ (Ebd.: 344)
Imposant. Welche andere „unbekannte akademische Theorie“ kann so etwas von sich behaupten?
Sie wird nicht in Schulen gelehrt? Au contraire, Mademoiselle.
Beispiel 1:
“Our curriculum is deeply using critical race theory, especially in social studies, but you'll find it in English language arts and the other disciplines,” Detroit Public Schools Superintendent Nikolai Vitti said at a Nov. 9 board of education meeting.“ (https://edworkforce.house.gov/news/documentsingle.aspx?DocumentID=407991)
Beispiel 2, der Hillsborough Township School District in New Jersey:
https://www.realcleareducation.com/articles/2024/02/07/despite_denials_critical_race_theory_is_used_to_teach_your_children_1010258.html – Der Artikel gibt weitere Beispiele, z.B.
Beispiel 3: Vermont – Essex Westford School District
Kostenpunkt: 292 000 Dollar – viel Geld für etwas, das an den Schulen gar nicht gelehrt wird.
„Milwaukee Public Schools hired the Pacific Education Group to put district administration and principals through the consultants' Courageous Conversations program. The multi-year, $292,000 professional development not only had participants learn CRT as a “theoretical and requisite knowledge base,” but it also centered on “Using Critical Race Theory to Transform Leadership and The Organization.” (ebenfalls: https://www.realcleareducation.com/articles/2024/02/07/despite_denials_critical_race_theory_is_used_to_teach_your_children_1010258.html)
Beispiel 4: Das Ethnic-Studies-Modul in Kalifornien:
https://edsource.org/2021/california-becomes-first-state-to-require-ethnic-studies-in-high-school/662219 (vermutlich erst nach der Veröffentlichung des Buchs)
Noch Fragen?
Selbst wenn Brockschmidt zur Zeit der Abfassung des Buches Recht gehabt haben sollte, liegt dies nur daran, daß sie in den Genuß der „Gnade der hinreichend frühen Abfassung“ gekommen ist. Allerdings hätte sie auch dann die hier dokumentierten Entwicklungen sehr leicht antezipieren können sollen. Warum sie es nicht konnte? Sie und ihr Milieu glauben allen Ernstes, sie repräsentierten die „freie Welt“, während die anderen den neo-sowjetischen Charakter ihrer „Geistes“haltung ziemlich leicht erkennen können.
Sprachschändungen
„Framing“ ist kein deutsches Wort, der Sachverhalt existiert nicht erst seit fünf Jahren. Daß der Duden funktional darauf herabgesunken ist, alles aufzunehmen, was irgendein blödsinniger 15jähriger unter die Leute bringt, sollte zur Folge haben, daß im Falle der nötigen politischen Wende dem Duden sämtliche Kompetenzen in dem Bereich entzogen werden und eine neue Instanz seine Funktion übernimmt. Doch wie liest sich das bei Brockschmidt?
„Außerdem bietet dieses Framing ein effektives Narrativ, um die Beschränkung der Rechte von Frauen, der LGBTQIA*-Community und BPoC als «Pro-Familie» darzustellen.“ (Brockschmidt 2021: 224)
Hier haben wir zentrale Neusprechelemente beisammen. Ein Framing bietet kein Narrativ, ein Narrativ rahmt Dinge oder schneidet sie suggestiv zu, versieht sie mit einer Stoßrichtung, verleiht ihnen einen bestimmten Akzent etc. Ein „Framing” kann ein Merkmal (eine Eigenschaft, Qualität) eines Narrativs sein, nicht aber selber ein Narrativ. Aber es kommt natürlich noch besser:
„Jungfräulichkeit, ein ohnehin rein gesellschaftliches Konstrukt, steht innerhalb dieser Weltsicht nicht im Kontrast zu der Teilnahme an einer Dating-Show, bei der es auch regelmäßig um Sex geht.“ (Ebd.: 231 f.)
Noch nicht sexuell aktiv gewesen zu sein, ist kein real möglicher Sachverhalt in Brockschmidts absurder Unsinnswelt, sondern muß, weil ihr vermutlich jegliche Wertschätzung von Jungfräulichkeit zuwider ist, in einem Superkompensationsakt ohne realen Anlaß zum „rein gesellschaftlichen Konstrukt“ erklärt werden. Mir fallen einige hochelitäre IQ-Verlierer ein, die da vermutlich ernsthaft zustimmend nicken oder gar applaudieren würden.
„Die Rhetorik von den bösen ‚Staatsschulen‘ ist der Christlichen Rechten seit Jahrzehnten vertraut (siehe Rushdooney und Robert J. Billings).“ (Ebd.: 270)
Nein, die Rede von den Staatsschulen, die man in dieser oder jener Weise näher qualifizieren mag mittels eines Epithetons (ein rhetorisches Manöver ist übrigens auch keine „Rhetorik“). Dieser Ausdruck gibt wieder, daß sie Gegenstand sprachlicher Ausführungen waren, dabei handelt es sich nicht um eine „Rhetorik“.
„Eine Untersuchung der Huffington Post aus dem Jahr 2017 ergab, dass 14 Prozent von staatlich geförderten privaten Voucher-Schulen anti-LGBTQIA*-Klauseln in ihren Satzungen haben, die LGBTQIA*-Schüler und -Lehrer an ihren Schulen nicht erlauben.“ (Ebd.: 276)
Zeitungen haben früher, im Gegensatz zu heute, noch umfangreiche Recherchen durchgeführt, aber keine Untersuchungen; Untersuchungen werden von wissenschaftlichen Institutionen oder Ausschüssen durchgeführt.
Abschließend: Stimmt die Grundthese des Buches mit Blick auf die Wahlen von 2024? Plus: Einige Empfehlungen zur USA-Beobachtung
So schwach Brockschmidts Buch ist, was ein tieferes Verständnis der USA angeht, die Grundthese ist nicht einfach rundheraus zu verwerfen, da die Evangelikalen in der Tat zahlreich und politisch höchst aktiv sind. Daraus folgt aber nicht, daß sie die USA politisch dominieren, nicht einmal, daß sie die Republikanische Partei dominieren, obwohl sie sicher nicht ohne Einfluß in Republikanischen Kreisen sind. Wahlentscheidend dürfte 2024 vor allem die Reaktion auf die Politik des Milieus sein, dem Brockschmidt ideologisch angehört. Um nur wenige (aber wenigstens wenige) Andeutungen zu geben:
Ein gewichtiger Indikator dafür, daß die letzten Jahre zu einer massiven Ethnisierung des Politischen geführt haben, ist darin zu sehen, daß Trump zwar von den Evangelikalen im ganzen massiv unterstützt wird, aber nur von 14 % der afroamerikanischen Evangelikalen:
„The former president struggles most among African American evangelicals where just 14% plan to cast their ballot for him, and 76% back Harris.“
Umgekehrt:
„White likely voters with evangelical beliefs are the most likely to back Trump (77%).“ [sic!]
Diese innerkonfessionelle Gespaltenheit entlang ethnischer Differenzen wird auch fortan bei allen politisch maßgeblichen, richtungsweisenden Entscheidungen zu beachten sein, denn dies wird sich nicht mehr einfach eskamotieren oder über Nacht beheben lassen. Es ist die basale operative politische Kondition, die sich herausgebildet hat, und wer sie leugnet, bewegt sich in einem Traumreich, aus dem er womöglich erst herausgemessert wird (wie auch aus dem Leben). Daß Trump nun Südafrika mit seinen in Gesetzesinitiativen wie dem Broad-Based Black Empowerment Act (2003) und seinem Preferential Procurement Policy Framework Act (2017) versteckten anti-weißen Gesetzgebung und in öffentlichen Zelebrationen besungenen Ethnozidbestrebungen ins Visier nimmt, spricht ebenfalls dafür. Man müßte X schon in Europa sperren, um den Bruch dieses Dammes wesentlich hinauszuzögern.
Vielleicht sollte man in Deutschland, wenn man von den nun in den USA Dominanz erlangenden Strömungen mehr mitbekommen will, weder Brockschmidt noch den Evangelikalen allzu viel Beachtung schenken, sondern eher Intellektuellen aus dem Umfeld der Heritage Foundation und der NatCons, inhaltlich Essays wie Nathan Cofnas’ A Guide for the Hereditarian Revolution oder Suzanne Schneiders What the Right Wants, oder Büchern wie Charles Murrays The Bell Curve (mit Richard Herrnstein) und Coming Apart. The State of White America, 1960 – 2010, Joshua Mitchells American Awakening. Identity Politics and Other Afflictions of Our Time (gerade was den Zusammenhang zwischen Protestantismus und woker Schuldlogik angeht), Victor Davis Hansons The Dying Citizen. How Progressive Elites, Tribalism, and Globalization Are Destroying the Idea of America, Heather Mac Donalds The Diversity Delusion oder Thomas Sowells A Conflict of Visions.
Zitierte Literatur:
Annika Brockschmidt: Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet. Hamburg: Rowohlt, 2021.
Volkmar Weiss: Über die geistigen Mistkäfer der Wissenschaft. Zum Struktur- und Ideenplagiat. Leipzig: Kindle Direct Publishing, 2021.