David P. Goldman („Spengler“), Teil 3: Die USA vs. China
Zentrale Aspekte des geopolitischen Rennens, eine Kritik von Goldmans Position und eine eigene Prognose
von Sebastian Edinger
Wo man auch hinschaut, ob in der Politik oder in den Medien, in Deutschland oder in den USA, China wird meist katastrophal unterschätzt, und das auch dort, wo man es für einen legitimen geopolitischen Konkurrenten der USA hält. Die (noch) immer gerne gebrachte Phrase – mal als Einwand, mal als Argument –, die Chinesen seien emsig und klug, aber nicht kreativ, hält der realen Entwicklung nicht stand. Gerade Goldman sieht das sehr klar und versucht Träumern, die sich in gegen die Realität abschirmende Phrasen verbissen einzunisten bestrebt sind, dabei zu helfen, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Zu diesen Tatsachen gehört aber auch, im nächsten Schritt demographische Fakten mit Befunden der Intelligenzforschung zu kombinieren. Dies hat Goldman meines Wissens nicht getan, doch es ist nötig, um seine Argumente in einen größeren Rahmen einzubetten und ein noch umfassenderes realistisches Bild der Lage zu gewinnen.
Quelle: https://twitter.com/davidpgoldman/status/1563215722423078913
In den USA und Westeuropa braucht man - das ist kein Geheimnis - den heutigen Achtkläßlern und erst recht denen in 13 Jahren solche Aufgaben nicht mehr stellen. Da es mir nicht um den inneren Zerfall des Westens geht, sondern um den Vergleich mit China, sind hier nicht relationale Daten wie Fertilitätsraten, sondern absolute Zahlen, die das Verhältnis zwischen faktischen Geburtenzahlen und Intelligenzpotentialen zu verstehen erlauben, zueinander in Relation zu setzen.
Der Auseinandersetzung mit Goldman seien ein paar intelligenzdemographische Überlegungen vorangestellt: Auch wenn China aufgrund einer rapide sinkenden Fertilitätsrate (siehe Teil 2 dieser Trilogie) de facto in einer schwierigen demographischen Lage ist, täuschen nicht weiter hinterfragte Statistiken leicht über das sehr reale Gewicht der absoluten Zahlen hinweg, die eine verläßlichere Vergleichsbasis darstellen. Der South China Morning Post zufolge kamen im Jahr 2022 in China 9,56 Millionen Kinder zur Welt, in der gesamten Europäischen Union 3,89 Millionen (und in den Jahren 2021 und 2022 zusammen gerade mal rund 8 Millionen), in den USA 3,66 Millionen, in EU und USA zusammen im Jahr 2022 also weniger als 8 Millionen. Die absoluten Zahlen haben ein um so größeres Gewicht, wenn man nun den Faktor IQ miteinbezieht. Um alles, worüber hier aus Platzgründen nicht einmal halbwegs sinnvoll im Einzelnen gestritten werden kann, zu umgehen: Der chinesische Durchschnitts-IQ (104) ist höher als der westeuropäische (rund 100) und der amerikanische (98). Um gar nicht erst in den vom wesentlichen ablenkenden Streit über den genauen IQ-Wert der einzelnen Länder einzutreten, werde ich den IQ-Wert kontrafaktisch vereinheitlichen (und damit auch die offene Frage nach dem IQ-Stadt-Land-Gefälle in China übergehen, weil hierzu noch lange nicht genügend Daten vorhanden sind; mutmaßlich konzentriert die Intelligenz sich in China disproportional in den Großstädten, die Talentmagnete, aber demographisch geradezu steril sind), d.h.: Bei 1,6 Millionen Geburten mehr und einem (konservativ veranschlagten) Durchschnitts-IQ von 104 (Lynn/Vanhanen geben ihn mit 105.8 an; siehe Lynn/Vanhanen 2012: 21) würden selbst bei kontrafaktischer (!) IQ-Gleichheit in den folgenden gesellschaftlich hochgradig entwicklungsrelevanten IQ-Segmenten einen ungefähren (jeweils gerundeten) Talentvorteil im folgenden Ausmaß bedeuten (für μ = 104, σ = 15 – die Standardabweichung wird hier ebenfalls vereinheitlicht, da sie zwischen Europäern und Asiaten leicht differiert):
IQ 120: + rund 225 000 (konservativ geschätzt)
IQ 125: + rund 125 000 (konservativ geschätzt))
IQ 130: + rund 65 000 (Hochbegabte)
IQ 135: + rund 30 000 („1%er“ nach den westlich etablierten Kriterien)
IQ 140: + rund 13 000
IQ 145: + rund 5 000
Die Ermittlung der Zahlen zu höheren IQ-Werten überlasse ich jenen, die an amerikanische Phantasie-IQs von 180 oder 200 glauben.
China müßte jedenfalls demographisch noch viel schwächer und Europa und die USA viel stärker werden, bis eine Gleichheit in der Talentstärke gegeben wäre. An der Diskrepanz jedoch scheitert Goldmans 1973-1982-Analogie: Die USA waren 1973 im anspruchsvollen Sinne des Begriffs demographisch, d.h. auch was zur Verfügung stehendes Talent angeht, deutlich stärker als heute, wo sie sich inmitten einer funktionalen Südafrikanisierung (Beispiel 1: Stromversorgung, Beispiel 2: Verkehrswesen; Beispiel 3: Aufforderung zum Ethnozid) befinden. 1970 (Quelle) war die Grundkonfiguration in einem lange Zeit wesentlich aus zwei Ethnien zusammengesetzten Land: 87,7% Europäer/Weiße, 11,1% Afro-Amerikaner; 1983 war sie: 83,1% Europäer/Weiße, 11,7% Afro-Amerikaner. 2020 haben wir: 61,6% Europäer/Weiße, 12,4% Afro-Amerikaner, 6,2% Asiaten, 18,7% Latinos und noch einiges anderes. Ob man auf IQ- oder SAT-Ergebnisse (exemplarisch für 2022: https://reports.collegeboard.org/media/pdf/2022-total-group-sat-suite-of-assessments-annual-report.pdf) schaut, das Bild ist immer im wesentlichen das gleiche (hier ließe sich eine umfangreiche Bibliographie einfügen, aber einen sehr guten Überblick im zumutbaren Umfang bieten: Murray 2021 und Rushton/Jensen: Thirty Years of Research on Race Differences in Cognitive Ability) und daß die Tests (natürlich) keine perfekte Interkorrelation aufweisen, ändert nichts daran, daß ihre Ergebnisse, wie die kognitiver Tests generell, eine sehr hohe Interkorrelation aufweisen (das Stichwort für diejenigen, die weiterrecherchieren wollen, lautet hier: positive manifold). Chinas Potential ist ungleich größer als das der USA und Europas zusammengenommen, und nichts wird daran weniger (zum Positiven hin) ändern als die von den genannten Akteuren geduldeten Migrationsbewegungen.
Es ist frappierend, daß Goldman auf all das, was hier auch nur angerissen ist, aber andernorts in gebührendem Umfang noch dargestellt werden soll (und dazu wäre noch viel, viel mehr zu sagen, die Pointe fehlt hier noch), überhaupt nicht eingeht. Womöglich stehen religiöse Gründe der Öffnung der Büchse der Pandora im Weg, aber letztlich kann nur Goldman selber erklären, warum er außen vor läßt, was er vermutlich kennt und was genauso als hard fact zu gelten hätte wie Wirtschaftsdaten oder demographische Daten, die er zitiert.
Doch kommen wir zu Goldmans wichtigem und überaus empfehlenswertem China-Buch You Will Be Assimilated. China’s Plan to Sino-Form the World (2020), das heute den Untertitel How China is Sino-Forming the World tragen müßte, und dem 2021 veröffentlichten und digital erhältlichen How America can lose the Fourth Industrial Revolution.
Chinas funktionale Integration fremder Ökonomien
In der Einleitung von You Will Be Assimilated spricht Goldman konzise Klartext: „I wrote this book because America’s response to China’s global ambitions is a failure. There are two big reasons for this failure. First, we chronically underestimate China’s capabilities and ambitions.“ (Goldman 2020: XVII) Ich beschränke mich hier notgedrungen auf diesen Aspekt und klammere (zunächst) sowohl die internen Probleme der USA als auch das militärische Kräfteverhältnis zwischen beiden Ländern weitestgehend aus.
Im Zentrum von Goldmans Analysen steht Huawei, ein Unternehmen „with fifty thousand foreign employees and research centers in two dozen Western countries“, das er deshalb als „imperial company“ (ebd.: XXXII) bezeichnet. Huawei muß Produkte nicht von China in den Westen bringen, sondern Huawei verwendet westliche Expertise zur Herstellung seiner chinesisch kontrollierten Produkte. Bei diesen Produkten handelt es sich nicht vorrangig um Smartphones, sondern Smartphones sind ein Applikationsmedium einer 5G-basierten digitalen Infrastruktur, deren unangefochtener Vorreiter China ist und die sich auf die gesamte sogenannte Vierte Industrielle Revolution erstreckt. Goldman greift diesen Begriff auf (den Ausdruck hat Klaus Schwab 2016 popularisiert, aber er geht nicht auf ihn zurück und ist schon im Titel des VINT Research Reports The Fourth Industrial Revolution 2014 zu finden; zudem trägt, durchaus prophetisch, bereits in Claus Eurichs 1988 erschienenem Buch Die Megamaschine ein Kapitel die Überschrift „Die Vierte Industrielle Revolution“, womit hier die Computerisierung von Gesellschaft und Arbeitswelt gemeint ist), der eine Revolution bezeichnet, die sich auf Felder wie „robotics, the Internet of things, and massive big data applications to supply chain management, transportation, health care“ erstreckt, deren Organisation und Gestaltung weitgehend durch die Anwendung künstlicher Intelligenz bestimmt sein wird. Eine konkrete Übersicht über die technologischen Kernbereiche gibt Goldman auf S. 3 f. von How America can Lose the Fourth Industrial Revolution.
Aber warum sollten sich hier alle von China abhängig machen, statt eigene Wege zu gehen? Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Goldmans Buch hatten bereits 21 europäische Länder 5G-Equipment von Huawei bestellt (vgl. ebd.: 82), doch auf Druck der USA haben etliche europäische Staaten sich den amerikanischen Sanktionen und dem Boykott von Huawei angeschlossen. Wer die sklavische Ergebenheit der europäischen Regierungen satt hat, der kann um so lauter darüber lachen, daß Huawei die Amerikaner jüngst vorgeführt und verdeutlicht hat, daß man über die intellektuellen und technologischen Kapazitäten verfügt, solche Maßnahmen ins Leere laufen zu lassen, mit dem Bonus, nebenbei auch noch eine vergleichslose technologische Selbstversorgungskapazität zu entwickeln. Goldman ist das natürlich nicht entgangen (mehr noch, er hat es klar kommen sehen und 2022 bereits vorweggenommen):
Quelle: https://twitter.com/davidpgoldman/status/1698537055284859207
Wie man in Europa darauf reagieren wird, wenn auch dem letzten dämmert (vorher passiert hier oft nichts), wer das technologische Rennen klar gewinnt, bleibt abzuwarten. Das heißt auch: Es bleibt abzuwarten, ob Europa China oder die USA zu seinem Herren erwählen wird. Soviel zu Europa. Andere haben die Entscheidung getroffen, ihre Beziehungen zu China nicht von den USA bestimmen zu lassen: Mexiko hat China die Selbstintegration in seine eigene Breitbandinfrastruktur gestattet (vgl. Goldman 2021: 10 f.), ebenso Brasilien, wo chinesische KI ganze Sojabohnen-Farmen bis ins kleinste Detail optimiert (vgl. ebd.: 11). Der Effekt? „‘Smart’ agriculture in Brazil and other large soy producers will rapidly reduce China’s dependency on imports from the United States and erode American exports at a moment when the US current account deficit is running at about $1 trillion a year.“ (Ebd.)
Macht China damit befreundeten Staaten Geschenke, oder bestehen hier Gefahren und Risiken, die nur schwer wägbar sind? In You Will Be Assimilated diskutiert Goldman die Möglichkeit von Backdoor-Implementationen, die nahezu unaufspürbar sind: „Even if data itself is protected by un-hackable cryptographys, ‚backdoors‘ hidden among the billions of transistors in a computer chip could be used by a bad actor to sabotage critical infrastructure.“ (Goldman 2020: 87) Konkret: Man kann – mit unrealistischem Optimismus eine benevolente Anwendung voraussetzend – mithilfe chinesischer Technologie zwar Zivilisationsstufen emporsteigen, aber China kann einem auch dann das Licht ausstellen und Staaten auf Knopfdruck in die Vormoderne verbannen, wenn jemand sich aus chinesischer Sicht allzu ungehörig verhält. (Ein davon unabhängiges, aber sehr reales Problem besteht darin, daß die angesprochene Voraussetzung einer benevolenten Anwendung solcher Technologie natürlich nur ein Wunschtraum ist. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag/Text.)
Doch warum handelt es sich bei dem, was erst einmal vor allem anderen zu nützen scheint, um eine funktionale Integration fremder Ökonomien? Weil China avancierte Technologien gerade jenen Ländern bevorzugt zur Verfügung stellen kann, von denen es viele Güter importiert, deren Herstellung mittels chinesischer Technologie quantitativ und qualitativ optimiert wird. Die Seidenstraße ist der verkehrsinfrastrukturelle Arm dieser Strategie, die Goldman treffend so beschreibt: „Even more important are China’s inroads into the developing world. China’s $2 trillion Belt and Road Initiative (BRI), in combination with digital technology, aims to integrate billions of people in the developing world into China’s economic sphere.“ (Ebd.: 13) – Wer an mehr Details interessiert ist, der sei auf Goldmans Bücher und seine journalistische Arbeit, insbesondere bei Asia Times, verwiesen.
Diese Strategie enthält eine Pointe, die den meisten völlig verschlossen bleibt, auf die Goldman daher um so mehr Nachdruck legt: China kann, im Unterschied zu allen anderen Ländern, seine demographischen Probleme durch die funktionale Integration anderer Ökonomien auffangen, weil diese Integration die junger Menschen aus fremden und jüngeren Ökonomien miteinschließt. Wo andere einen Fachkräftemangel beklagen müssen und auf die Hoffnung, denselben durch technologischen Entwicklungen weitgehend auffangen zu können, verwiesen sind, kann China durch sein technologisches Monopol und die faktische Kontrolle über technologische Verbindungsketten (analog zu Versorgungs- und Lieferketten oder supply chains) fremde Ökonomien an sich binden und einbinden, so daß die Möglichkeit, die Abhängigkeit von China von chinesischer Seite als Unterwerfung erfahren zu müssen, nur in Konfliktfällen zutage treten würde. Generell wird China wohl, sofern möglich und sofern man klug agiert (nicht wie in Sri Lanka, wo man eher gemäß dem schuldenbasierten Kolonialmodell agiert), Win-win-Situationen anvisieren, die für den mitprofitierenden Schwächeren attraktiv genug sind, um die Frage nach einer „chinesischen Kolonisierung“ im Keim zu ersticken; ein gutes Beispiel ist der von Goldman angesprochene Sojabohnenanbau in Brasilien, wo 5G-Netzwerke Huaweis mittels 24/7 aktiver Sensoren jede einzelne Pflanze „betreuen“, d.h. ihren Zustand überprüfen, Wasser, Düngemittel und Pestizide selbständig und nach ermitteltem Bedarf zuführen (vgl. Goldman 2021: 11).
Einige Daten zum genaueren Vergleich
All dies setzt voraus, daß China dazu in der Lage sein wird, sich langfristig intellektuell gegenüber dem Westen zu behaupten. Der Schlüsselfaktor dabei wird die Demographie, und das heißt: die Demographie der Intelligenz, sein. Daß China homogen bleiben müssen wird (über 92% aller Chinesen sind Han-Chinesen), wird den Eliten klar sein, die mit dem Gaokao eine harte Schule durchlaufen haben und nicht wie anderswo rekrutiert werden. Strategisch ist China, wie Goldman zeigt, bereits klar im Vorteil, denn die KI-Entwicklung in China ist – sieht man von der Überwachung ab, die im Westen kaum weniger stark ausgeprägt ist, worüber nur hinwegtäuscht, daß sie hintergründiger und unter weitgehender Vermeidung offener Brutalität stattfindet – auf funktionale Optimierung in Kernsektoren ausgerichtet und weniger auf Konsumentenbespaßung.
Doch die Lage ist für die USA und den Westen in kompetitiver Hinsicht ungleich schlechter, als den allermeisten Menschen im Westen bewußt sein dürfte. Daher versuche ich im folgenden einen gleichermaßen umfassenden wie komprimierten Überblick darüber zu geben, wie die Kräfteverhältnisse sich real darstellen. Ausgangspunkt der Darstellung ist der im Dezember 2021 erschienene und kaum genug zur Lektüre zu empfehlende Report des Belfer Centers The Great Tech Rivalry: China vs. the U.S.; neuere Daten füge ich der Darstellung hinzu:
Zu Quantencomputern:
„China has already surpassed the U.S. in quantum communication and has rapidly narrowed America’s lead in quantum computing.“ (S. 4) China hat gerade vor wenigen Tagen mit dem Origin Wukong einen neuen 72-Qubit-Quantencomputer der dritten Generation präsentiert, just nachdem Google noch damit prahlte, mit einem 70-Qubit-Quantencomputer führend zu sein. Angela Merkel feierte 2021 einen deutschen 27-Qubit-Quantencomputer als „Wunderwerk der Technologie“ (Google verfügte bereits 2019 über einen 54-Qubit-Quantencomputer.)
Zur Künstlichen Intelligenz:
„China overtook the U.S. for overall AI citations“, so im Bericht. Das Verhältnis von Quantität und Qualität sowie die Bedeutung der Zahlen sind umstritten, aber Caroline Wagner gibt in ihrem Artikel China now publishes more high-quality science than any other nation – should the US be worried? einen beachtenswerten Hinweis: „[I]in 2022, Chinese researchers published three times as many papers on artificial intelligence as U.S. researchers; in the top 1% most cited AI research, Chinese papers outnumbered U.S. papers by a 2-to-1 ratio. Similar patterns can be seen with China leading in the top 1% most cited papers in nanoscience, chemistry and transportation.“ – Die Kräfteverhältnisse verschieben sich klar und tun dies kontinuierlich, ein Ende ist nicht in Sicht, denn:
Zur Bildungslage:
„China graduates four times as many bachelor’s students with STEM degrees and is on track to graduate twice as many STEM PhDs by 2025. By contrast, the number of domestic-born AI PhDs in the U.S. has not increased since 1990.“ (The Great Tech Rivalry, S. 7) – Warum wohl? Wer ist darüber verwundert, daß die USA seit 1990, seit der demographischen Transformation, die sich langsam vollendet, die Anzahl seiner Doktortitel trotz einer lächerlichen Inflation der Bildungszertifikate nicht steigern konnte? Am Beispiel der Physik: In den Jahren 2018 und 2019 entfielen 93% aller Doktortitel (84% Europäer/Weiße, 9% Asiaten) in der Physik auf Europäer/Weiße und Asiaten, die 2019 zusammen rund 65% der Bevölkerung stellten (vgl. Murray 2021). Da in den hier verhandelten Fragen Demographie die der Intelligenz ist – keine andere weist eine vergleichbare Gewichtigkeit auf –, gibt es hier mittel- und erst recht langfristig kein Rennen.
Goldman zum Bildungsvergleich:
Goldman weist auf eine Tatsache hin, die erlaubt, den intelligenzdemographischen Aspekt mit dem kulturellen der Studienwahl zu verbinden: „Just 5 percent of our college students major in engineering, compared to one-third in China.“ (Ebd.) Die numerischen Fluktuationen, die sich hier zeigen, sind unerheblich, weshalb Goldmans Zahlen hier nicht disputiert werden müssen. In absoluten Zahlen, auf die ich weiter unten ausführlicher und mit konkreten Quellen zurückkommen werde, heißt das (Stand 2016): 4,7 Millionen MINT/STEM-Absolventen auf chinesischer vs. 568,000 auf amerikanischer Seite. Hinzu kommt: „Four out of five doctoral degrees in computer science and electrical engineering are awarded to foreign students, of whom Chinese are the largest contingent.“ (Goldman 2020:: XXII) Die aktuellste explizite Vergleichsstatistik, die mir vorliegt und absolute Zahlen im internationalen Vergleich zwischen globalen Größen enthält, stammt aus dem Jahr 2016:
Quelle: https://www.statista.com/chart/7913/the-countries-with-the-most-stem-graduates/
Bemerkenswert ist nicht nur, daß China rund 8mal so viele Absolventen aufweist wie die USA, sondern auch, daß Rußland mit weniger als halb so vielen Einwohnern als die USA nur wenige tausend Absolventen weniger vorzuweisen hat. Wie Quantität und Qualität sich zueinander verhalten, bleibt abzuwarten, doch sowohl die russische Überlegenheit im militärischen Bereich als auch die kommende Chinas in etlichen technologischen Sektoren darf man als gesichert annehmen. Wer sich hier nicht weiter von ahnungslosen Journalisten, bildungsfernen Propagandisten oder schlicht von Hollywood zum Narren halten lassen möchte, der lese Andrei Martyanovs 2019 erschienenes Buch The (Real) Revolution in Military Affairs (wer die Resultate in eine Entwicklung eingebettet betrachten können will, lese auch noch das 2017 erschienene Losing Military Supremacy – ja, man hätte es wissen können, mehr noch: man hätte es wissen müssen, denn wenn man es wissen kann, aber nicht weiß, entlarvt man sich, sofern man beruflich damit etwas zu tun, schlicht als Idiot).
Zur Biotechnologie:
Für den Bereich der Biotechnologie läßt der Report uns folgendes wissen: „In 2019 and 2020, China overtook Germany and the U.K. respectively and now ranks second in the Nature Index for high-quality life sciences research, increasing its annual output by 9% over the past year.“ – Das ist allerdings überholt, China ist nun auf Platz 1, wie Nature uns wissen läßt: „In 2022, for the first time, the country had the highest Share score in the Nature Index for the natural sciences, surpassing the United States.“ Was erfaßt der Share Core? Das:
Quelle: https://www.nature.com/articles/d41586-023-01868-3
Hier sieht man klar gegenläufige Entwicklungen, die mit der demographischen Transformation, wenn man sie von der Intelligenzforschung aus betrachtet, übereinstimmen. Dieser Prozeß ist nicht abgeschlossen, der Abstand wird sich in den kommenden Jahren deutlich vergrößern zugunsten Chinas, doch damit sind noch längst nicht alle geopolitisch zentralen Kippunkte benannt:
Zur Solartechnologie:
„From producing less than 1% of solar panels in 2000, China now supplies 70% of solar panels globally. By comparison, in a stunning reversal, America’s share fell from 30% in 2000 to less than 1% today.“ (S. 31) – Das steht für sich und bleibt deshalb unkommentiert. Auf den Vortrag der hervorragenden Keyu Jin, in dem dies auch thematisiert wird, soll trotzdem verwiesen werden: Critical Issues Confronting China - Professor Keyu Jin - December 6, 2023 (zur Solartechnologie ab 7:30).
Zum Zugang zu Rohstoffen:
Besonders heikel ist dies: „And where China lacks resources domestically, it has secured them overseas. Chinese companies own 8 of the 14 largest cobalt mines in the Democratic Republic of the Congo (accounting for 30% of global output) and a 51% stake in the world’s largest lithium reserve (which, combined with other assets, makes China the largest producer of hard-rock lithium at over 50% of global production). Meanwhile, the U.S. imports 40% of its lithium, 80% of its cobalt, and 100% of its graphite.“ (S. 31 f.) – Doch warum ist das so heikel? Martin Groschs vorzügliches Buch Geopolitische Machtspiele enthält Ausführungen dazu (wie zur gesamten geopolitischen Weltlage), die man durchaus als so wichtig einstufen könnte, daß die Lektüre dieses Buches jedem Oberstufenschüler aufgezwungen werden sollte (was nicht hieße, daß das dabei viel herauskommen müßte), z.B.: „In der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) wird vor allem das Tantal-Erz Coltan abgebaut, das in so gut wie allen Mobilgeräten steckt: Mehr als 80 Prozent von knapp 1200 Tonnen weltweit werden in der konfliktreichen Region im Osten Kongos und in Ruanda jedes Jahr aus dem Boden geholt. Unsere gesamte Hochtechnologie hängt also von Metallen wie Tantal ab.“ (Grosch 2022: 58) – Auch wenn mittlerweile vermutlich viele glauben, daß Smartphones auf Bäumen wachsen, oder sich jedenfalls verhalten, als wäre dies der Fall (Groschs Weckruf lautet: „Kein Handy funktioniert ohne Kobalt“; ebd.), ist es de facto so, daß China dabei ist, sich einen privilegierten Zugang zu diesen Ressourcen zu sichern, womit die Fähigkeit einhergeht, unliebsame Staaten davon auch abzuschneiden. Weitere Vorkommen dieser Rohstoffe gibt, so Grosch, vermutlich auch in Tibet. Wer hat hier wohl den exklusiven Zugang? (Vgl. ebd.: 138) Was bedeutet das? Grosch spart nicht an Deutlichkeit: „Wer wird künftig also das Heartland beherrschen? Sicher nicht die USA. Bleibt derzeit nur offen, wie Peking und Moskau hier evtl. gemeinsam oder in abgestimmter Form (z.B. in Interessensphären) das zentralasiatische Terrain kontrollieren und beherrschen werden.“ (Ebd.: 282) – Ja, China (vor allem!) und Rußland; nein, nicht Afrika, wie die unfreiwillig komische Propaganda bildungsferner, sinnlos durchkredentialisierter Nullen es intelligenzdemographischen Naivlingen weismachen will, die wirklich gar nichts begreifen.
Bemerkungen zu den militärischen Kräfteverhältnissen
Wenn wir schon bei geopolitischen Verhältnissen sind, möchte ich noch einen Hinweis aus einem anderen Belfer-Center-Report hinzufügen, der sich den militärischen Kräfteverhältnissen (The Great Military Rivalry) zwischen den USA und China widmet. In den Massenmedien mag man allerlei Wortgeklingel darüber finden, daß die USA Taiwan gegen China verteidigen würden und schließlich die führende militärische Weltmacht seien (sind sie nicht). Zu welchem Ergebnis ist man in sehr aufwendigen Kriegsfall-Simulationen gelangt, die man anscheinend so lange durchzuführen bereit war, bis man endlich ein positives Ergebnis erzielt? „[T]he most realistic war games the Pentagon has been able to design simulating war over Taiwan, the score is 18 to 0. And the 18 is not Team USA.“ (S. 4) Man hat nach durchaus redlichem Bemühen irgendwann doch frustriert aufgegeben. Was sagt man bei der Tagesschau dazu? Was im politischen Berlin?
Noch ein militärischer Hinweis aus dem Report: „China has more than 1,250 ground-launched ballistic and cruise missiles with ranges between 500 and 5,500 kilometers, while the U.S. fields only one type of conventional ground-launched ballistic missile with a range of 70 to 300 kilometers and no ground-launched cruise missiles.“ (Ebd., S. 12) Die Pointe ist hier, daß es sich bei diesen chinesischen Raketen um Hochpräzisionsraketen handelt, die gezielt der Verteidigung der Küsten und küstennaher Gewässer dienen und dazu in der Lage sind, Flugzeugträger punktgenau zu treffen und schnell und leicht zu versenken. Die 18:0-Pleite in den Simulationen gründet auch darin, daß die chinesische Waffenentwicklung in ein Stadium eingetreten ist, in dem Flugzeugträger antiquiertes Inventar (schärfer formuliert: imposant aussehender Seemüll) sind und im Pazifik keinen kriegsentscheidenden effektiven Nutzen mehr haben. Vielleicht hätte man besser auf Lee Kuan Yew gehört, als die eigene militärische Vorherrschaft in die Ewigkeit zu projizieren; Lee sprach in seinem 2000 erschienenen Buch From the Third World to the First: The Singapore Story 1965 – 2000 hellsichtig eine Warnung aus, die sich nun wie eine Prophezeiung liest: „The United States may be able to stop China from using force for another 20 to 30 years. Within that time, China is likely to develop the military capability to control the straits. It may be wiser, before the military balance shifts to the mainland, to negotiate the terms for an eventual, not an immediate, reunification.“ (Lee 2000: 570)
Was bedeutet das Gesagte grundsätzlich? „[I]n the near future there is a ‚limited war‘ over Taiwan or along China’s periphery, the U.S. would likely lose- or have to choose between losing and stepping up the escalation ladder to a wider war.“ (The Great Military Rivalry, S. 2) – Wer dies nicht weiß, ist in dieser Angelegenheit schlicht unmündig. Wer darüber lügt, mit dem wäre anders zu verfahren als mit einem bloßen Idioten. Warum zwischen China und den USA ein erheblicher Abstand im Militärischen entstehen (müssen) wird, ist dem Artikel US-China AI rivalry a tale of two talents zu entnehmen, den David Goldman zusammen mit Handel Jones verfaßt hat. Ein Hinweis in zwei Zitaten: (1) Der Fall China: „Chinese military and aerospace engineers have access to high-performance supercomputers and are working on the latest generation of technologies, with access to advanced semiconductor products. And after working with leading-edge technologies for the Chinese government, they will have their pick of jobs in the private sector.“ (2) Der Fall USA: „Programming technologies within the military and aerospace AI projects were several generations behind the Silicon Valley standard, and Andrew had no interest in obsolete technology. In many cases, the software technology for new hardware is up to 20 years behind leaders in the US because the engineers that are already employed in the military and aerospace ecosystem are not skilled in the latest generation of AI technologies.“
Doch der Vergleich zwischen den USA/dem Westen und China kennt nicht nur graduelle Unterschiede auf gemeinsamem Boden, sondern auch chinesische Innovationen qualitativer Art, die den Entwicklungsunterschied zwischen dem ethnostaatlichen und radikal meritokratischen China und dem kleinkindlich-naiv multikulturalismusverliebten und zutiefst anti-meritokratischen Westen gut veranschaulichen. Das jüngste und durchaus beeindruckende Beispiel: die Entwicklung der ersten Nuklearbatterie, die über 50 Jahre hinweg Energie produzieren können soll. – Hier zeichnet sich, da die Entwicklung im Westen genau gegenläufig sich vollzieht, die Entstehung zivilisatorischer Unterschiede ab – allerdings nicht zwischen China und dem Westen, sondern zwischen China und dem, was auf den Westen im ehemaligen Westen folgt.
Fazit und Rückweg zu Goldman
David P. Goldman verglich in einem Vortrag, den er 2021 auf der National-Conservatism-Konferenz hielt, die heutige geopolitische Lage der USA im Verhältnis zu China mit der von 1973 im Verhältnis zur Sowjetunion: 1973 war die Sowjetunion den USA überlegen, doch massive Investitionen in Bildung und Forschung führten dazu, daß die USA bereits 1982 klar die militärisch-technologische Vorherrschaft erringen konnten. Ein erneutes „von 1973 zu 1982“ ist Goldmans Ziel und programmatische Maßgabe. In einem am 17.01.2024 erschienen Essay mit dem Titel Seizing America's Comparative Advantage hat Goldman seine Diagnose aktualisiert. Worin besteht der komparative Vorteil der der USA? Der Text enthält eine düstere Diagnose, aber eine optimistische Prognose:
„We will never catch up to China in raw numbers of STEM personnel. But our track record of innovation is unique in the world. […] The United States still has the opportunity to lead the world in technologies that haven’t yet been invented and new industries that no one has imagined. That is our comparative advantage.“
I beg to differ. Goldman übergeht hier mehrere Probleme. Die USA haben nicht nur weniger STEM/MINT-Absolventen, sie sind, wie oben gezeigt, in etlichen Kernbereichen schwächer als China, das dabei ist – dies erwähnt Goldman explizit in dem Text (das wurde oben bereits erwähnt, wird aber auch in diesem Text von Goldman wieder erwähnt) –, amerikanische Sanktionen nicht durch den Aufkauf von Technologien auf Schwarzmärkten zu umgehen, sondern durch eigene Innovationen, etwa im Gebiet der Chip-Entwicklung.
Vor allem aber übergeht Goldman, der allzu klar sieht, daß China im Begriff ist, dem Westen davonzurennen, etwas Entscheidendes: die Demographie der Intelligenz. Es wird hier kein 1982 geben und auch nicht geben können, weil es kein 1973 gibt. Die Demographie der heutigen USA läßt kein 1982 zu, mehr noch: sie schließt ein neues 1982 als Möglichkeit zuverlässig aus. Hellsehertum ist hier nicht im geringsten nötig, denn der “Genius der amerikanischen Innovationsfähigkeit” – wenn man die Arbeit in Silicon Valley damit in Verbindung bringen will – ist, wie Kenny Xu in seinem hervorragenden Buch An Inconvenient Minority: The Harvard Admissions Case and the Attack on Asian American Excellence zeigt (exemplarisch und andeutend: „In 2010, Asian Americans became a simple majority, 50.1 percent, of all tech workers in the Bay Area: software engineers, data engineers, programmers, systems analysts, admins, and developers”, Xu 2021: 137), bereits zu rund der Hälfte von Asian Americans abhängig. Damit drängt sich aber eine gewichtige Frage auf: Wenn der Anteil asiatischer und, wie Xu zeigt, vorwiegend ethnisch chinesischer Amerikaner derart gewaltig ist (in Begabtenschulen New Yorks, die einmal 90% jüdisch dominiert waren, stellen sie mittlerweile 70% der Schüler; vgl. ebd.: 174), ist diese Innovationsfähigkeit dann nicht von China adaptierbar unter den richtigen strukturellen Voraussetzungen?
Dagegen argumentieren läßt sich unter der folgenden Voraussetzung: Es gibt qualitative Unterschiede in Sachen Innovationsfähigkeit, die Innovationen der letzten Jahrzehnte sind weniger grundlegende, der wahre Genius hingegen ist der Genius des 20. Jahrhunderts, der nach 1945 vorwiegend ein amerikanischer war. Dann würde dieser Genius eine ethnische Grundlage erhalten, aber das Problem würde sich trotzdem auf nicht gerade ermutigende Weise verschieben, denn man kann sehr wohl dafür argumentieren, daß Innovationen der letzten Jahrzehnte vor allem solche der neuartigen Kombinierung im Prinzip bereits vorhandener Ideen seien (z.B. integriert das Smartphone Funktionen, die für sich genommen vorher und unabhängig vom Smartphone existierten), anders gesagt: Wir befinden uns in dieser Sichtweise im „Zeitalter der Implementierung“, in dem – zum Vorteil Chinas – die Qualität der verfügbaren Intelligenz sowie die koordinierte Ausschöpfung ihres Potentials dann um so mehr Gewicht gegenüber der an Individuen gebundenen Genialität einnimmt; es gibt keine Innovationen mehr wie die Quantentheorie oder Relativitätstheorie im 20. Jahrhundert, sondern Innovation heißt vor allem, daß jemand, meist Forschergruppen, etwas weitläufig Antezipiertes tatsächlich zu realisieren vermochte. Das Problem stellt sich für jeden Genius, den amerikanischen wie den chinesischen; wie Matt Clancy in seinem lesenswerten Essay zeigt: Science is getting harder. Das Jahr 1970 markiert einen entscheidenden Bruchpunkt (darauf weist auch Sabine Hossenfelder mit Blick auf die Physik explizit hin).
Diese Lage ist dem amerikanischen Genius keineswegs äußerlich, solange man ihn nicht mystifizieren will, denn was schon erfunden worden ist, muß nicht noch einmal erfunden werden, d.h. der Genius der amerikanischen Innovationsfähigkeit steht in einer historisch – politisch, kulturell, technologisch – völlig anderen Situation vor neuen Aufgaben, die ganz andere Anforderungen stellen. Daraus, daß die USA das 20. Jahrhundert dominieren konnten, folgt nicht, daß sie, selbst unter kontrafaktisch präsupponierten demographisch ähnlichen Voraussetzungen, in der Lage des 21. Jahrhunderts zu ähnlichem fähig wären. Der objektive Stand von Wissenschaft und Technologie grenzt genuine Innovationsfähigkeit extrem ein, wie der erwähnte Essay Matt Clanceys in komprimierter Form sehr gut zeigt. "Innovation" ist nicht, wie Goldmans Beschwörung des amerikanischen Genius nahelegt, eine rein intrinsische, sondern in nicht unerheblichem Ausmaß auch eine situative Qualität. Innovationsfähigkeit, quantitativ und qualitativ, ist nicht einfach aus dem Wesen des amerikanischen Geistes hervorzupressen, wenn es um ganz andere Innovationen in einem ganz anderen kompetitiven Umfeld auf einem ganz anderen Anspruchsniveau mit einer ganz anderen Demographie geht.
Und wenn wir schon bei soziokulturellen Voraussetzungen in ihrer historischen Spezifik sind: Die USA haben die Meritokratie aufgegeben oder ihr gar den Krieg erklärt. Es gab keinen American Genius und DEI (Diversity, Equity & Inclusion), und das Verhältnis zwischen DEI und Genius ist ein Entweder-Oder-Verhältnis. DEI ist die strukturelle und substantielle Anti-Genialität schlechthin, die Institutionalisierung der Unterminierung meritokratischer Prinzipien. Um die anti-chinesischen Klischees hier gegen die USA zu wenden: DEI erzeugt mehr als jede noch so harte Meritokratie ein Ameisenvolk, und zwar, wenn man die Prämisse gelten lassen will, im Unterschied zur chinesischen Homogenisierung eines der gleichmäßigen Talentlosigkeit oder Vermittelmäßigung durch Talenterstickung und Konditionierung aufs endlose Nachkläffen dessen, was man einem 8jährigen in 10 Minuten beibringen kann. Wenn derart verfahrende Gruppen zugleich die Übernahme sämtlicher relevanter Machtpositionen in der Gesellschaft anstreben, ist klar, daß Macht gewollt wird, aber Selektion nach meritokratischen Prinzipien der Todfeind schlechthin der sich auf identitätspolitischer Basis zusammenrottenden Machthungrigen sein muß. Langfristig erzeugt DEI notgedrungen eine De- oder Entmodernisierung. Aber wie eine Meritokratie überhaupt wieder installiert werden soll, nachdem die hedonistisch-infantile „Ich will, gib mir“-Haltung die Antriebsstruktur der heute einflußreichen Gruppen nahezu vollständig bestimmt, ist die große offene Frage.
Eine harte und durchgreifende Re-Meritokratisierung des Bildungssystems nicht nur in den USA, sondern überhaupt im Westen, um dasselbe als axiologisch transformative und mentalitätsbestimmende gesellschaftliche Kraft zur Geltung zu bringen, würde nur langfristig und über mehrere Generationen hinweg in der nötigen Weise (intelligenzdemographisch) transformativ wirken können. Stand jetzt, halte ich, anders als Goldman, folgendes für ausgemacht: Der Sieg Chinas wird auch der Sieg der Homogenität über die Heterogenität sein, aus der nichts besseres wird, wenn man sie Diversität nennt. Der Sieg Chinas wird außerdem der symbolische Sieg des Gaokaos über die Duldung sich ausbreitenden Illiteratentums und die Abschaffung derjenigen Ansprüche sein, durch deren Verbindlichkeit allein aus prä-zivilisatorischer Bemitleidenswürdigkeit der Westen werden konnte. Die effektive Abschaffung der Universitäten und die einer faktischen Abschaffung gleichkommende Aushöhlung der den Universitätszugang regulierenden Schulabschlüsse – ob deren faktische Abschaffung folgt, ist an diesem Punkt irrelevant, die gänzliche Desorientierung von Arbeitskräfte suchenden Personen ist jedenfalls gesichert, weil man nicht ersatzweise auf einen Test wie den LSAT als Selektionskriterium ausweichen kann – ist kein isoliertes Phänomen: Dementsprechend verändern sich auch die Ansprüche in Sachen „Partnerwahl“, die auch in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre in einem eine Gesellschaft fundamental destabilisierenden Ausmaß urwaldhafte Züge angenommen hat, wodurch die außerehelichen Geburten infolge bloß temporärer, in keiner geteilten Herkunft, sondern in vorpersonalen Lustzuständen ihre Basis findender Kopulationszusammenkünfte zunehmen. Es wird an den sogenannten Universitäten gelehrt und gelernt, wie im Orientierungsnirvana des gesellschaftlichen Zerfalls geheiratet, bald darauf geschieden und im allgemeinen kopuliert wird; mit der Universität als axiologischem Gesellschaftsmodell mit starker Ausstrahlungskraft werden die Familie und das Hypergamieprinzip beerdigt.
Daß China mit vielen und mitunter dramatischen internen Problemen zu kämpfen hat, ist mir bewußt, einige Andeutungen habe ich im vorigen Text selber gegeben. China ist keineswegs durch und durch ein Juggernaut, aber die Frage ist, wer der Gegner sei, und diesen Gegner werden sie – die Selbstaufgabe ist zu weit gediehen – vermutlich problemlos hinter sich lassen, denn er hat mit der „Bildungstrinität“ (Karl Löwith) des Schönen, Wahren und Guten den Willen zum Leben in seiner zivilisatorischen oder hochkulturellen Variante aufgegeben. China hingegen hat den Gaokao, die Universitäten, die Teil des 985-Projekts sind, und Meritokratie als axiologisch gesellschaftsbestimmendes Prinzip – die USA ein um sich greifendes Illiteratentum (Bsp. 1: „In 26 school districts, no low-income third-grade students were proficient in reading.“; Bsp. 2: „Not a single fifth grader at Martin Luther King Jr. School, in the shadow of the Fruit Belt neighborhood, tested at a proficient reading level in 2022.“; Bsp. 3: „Last year, almost 60% of California’s third-graders, the students most deeply impacted by distance learning and other Covid disruptions, could not read at grade level.“; Bsp. 4 und Bsp. 5, auf Afro-Amerikaner in den USA bezogen; der Bundesstaat Oregon hat bereits kapituliert – wer will, kann ohne weiteres noch Dutzende solcher Beispiele ausfindig machen), das man sich in Zahlen vergegenwärtigen muß, nur um dann immer noch nicht zu glauben, was der Fall ist. Last but not least, China schätzt die Errungenschaften des Westens weitaus mehr als dieser selbst (siehe Chang Ches China looks to the Western Classics oder Han Feizis Open letter to Chinese American high school students – auf beide Texte hat Goldman auf X hingewiesen), kaum jemand hat das klarer begriffen als David P. Goldman, wie sein Essay Western Civilization, Chinese Style demonstriert.
Literatur:
Goldman, David P. (2020): You Will Be Assimilated. China’s Plan to Sino-Form the World. New York: Post Hill Press.
Grosch, Martin (2022): Geopolitische Machtspiele. Wie China, Russland und die USA sich in Stellung bringen und Europa immer stärker ins Abseits gerät. Reinbek: Lau Verlag.
Lee, Kuan Yew (2000): From the Third World to the First: The Singapore Story 1965 – 2000. New York: HarperCollins.
Lynn, Richard/Vanhanen, Tatu (2012): Intelligence. A Unifying Construct for the Social Sciences. London: Ulster Institute for Social Researach.
Martyanov, Andrei (2017): Losing Military Supremacy. Atlanta, GA: Clarity Press.
Martyanov, Andrei (2019): The (Real) Revolution in Military Affairs. Atlanta, GA: Clarity Press.
Murray, Charles (2021): Facing Reality. Two Truths about Race in America. New York; London: Encounter.
Xu, Kenny (2021): An Inconvenient Minority. The Attack on Asian American Excellence and the Fight for Meritocracy. New York: Diversion.